Vision, Purpose & das evolutionäre Anliegen
Die Welt wird immer komplexer - keine neue Erkenntnis. Aber eine Tatsache, welche die Ausrichtung von Unternehmen immer schwieriger macht. Wie schaffe ich ruhiges Gewässer, wenn täglich die Welt Kopf steht? Wenn nichts mehr planbar ist, woran orientiere ich mich als Organisation, aber auch als Mitarbeiter:in? Diese Unsicherheiten haben einen riesigen Markt an Angeboten entstehen lassen, welche alle für sich das Versprechen geben, eine stabile Ausrichtung des Unternehmens zu gewährleisten.
Die Vision - begeisternd, mitreißend und fassbar.
Die vermutlich gängigste Form der Ausrichtung ist die der Vision, verbunden mit den Elementen Mission & Strategie sowie der Operationalisierung dieser über entsprechende Ziele auf den Ebenen Unternehmen, Team und Individuum. Wenn ich das alles erarbeitet habe, weiß ich auf jeden Fall wo es lang geht. So zumindest die Erwartung an jeden Visions- und Strategieprozess. Meist finden sich dann Geschäftsführung sowie die höchste Führungsebene mit einer externen Begleitung auf einem Offsite außerhalb der Büroräume wieder und erarbeiten mit kreativen Methoden die Vision & Mission des Unternehmens. In diversen Folgeworkshops werden dann Strategie und Ziele abgeleitet, um schlussendlich ein kommunikativ emotional ausgestaltetes Gesamtpaket an den Rest des Unternehmens zu kommunizieren. Die einen schaffen damit Fakten, die anderen stoßen damit einen Transformationsprozess an. Alle möchten jedoch das selbe damit erreichen - emotionalisierte Mitarbeiter:innen, die mit größtmöglicher Motivation Richtung einer begeisternden, mitreißenden aber auch fassbaren Vision als Nordstern laufen. Das erhoffte Ergebnis sind klare Rahmenbedingungen für den Erfolg des Unternehmens zu schaffen. Die Realität sieht leider oft anders aus.
Der Purpose - der Grund weshalb wir jeden Morgen aufstehen.
Dazu hat sich in den letzten Jahren fast schon ein Hype um einen weiteren Begriff im Kontext der Ausrichtung entwickelt - der Purpose. Der Sinn eines Unternehmens. Die DNA, der Wesenskern, der Daseinsgrund. Corona hat diesen Trend fast schon turboartig verstärkt . Der sich durch die Krise vermehrenden Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, folgt unweigerlich die Frage nach dem Sinn ihres Jobs und demnach des Unternehmens, in welches viele Menschen den Großteil ihrer Zeit investieren. Da ist es nur logisch, dass sich in rasender Geschwindigkeit der Markt um die Purposefindung auf individueller und Unternehmensebene gebildet hat. Ich selbst durfte Methoden wie die Purpose Journey oder Purpose Turniere erleben und sogar als Trainerin begleiten. Für mich waren das immer erfüllende Momente und zu diesem Zeitpunkt das beste Vorgehen, um sich einer möglichst klaren Ausrichtung zu nähern. Auch der Golden Circle von Simon Sinek erfreut sich in diesem Kontext großer Beliebtheit. Und wer meine Website genau studiert, wird genau über die Elemente WHY, HOW & WHAT aus diesem Modell stolpern. :)
Auf Unternehmensebene hat sich der Purpose, das WHY, inzwischen fast schon als Standard etabliert. Bei den einen hat er die Vision komplett ersetzt, bei den anderen wird er zum “Wind in den Segeln” in Richtung des Nordsterns Vision. Für mich eine wunderschöne und sinnvolle Entwicklung hin zu Unternehmen, die sich mit mehr Tiefe hinterfragen und somit sich und ihren Mitarbeiter:innen versuchen mehr Orientierung zu geben. Wie die Vision, möchte auch der Purpose Emotionen bei den Mitarbeiter:innen generieren und damit zum Erfolg des Unternehmens führen. Doch entsteht dadurch wirklich der Sog, den sich alle erhoffen?
Von Tiefe und Wahrheit.
Mich hat bei all den fachlichen und auch persönlichen Erlebnissen zu Vision und Purpose immer eine Frage umgetrieben - was macht eigentlich für mich eine gute Vision, einen guten Purpose aus? Warum habe ich so oft das Gefühl, dass es mir irgendwie an Tiefe fehlt oder mich bei all der Energie, die da investiert wird, das Ergebnis trotzdem nicht berührt? Und dann gibt es manchmal dieses Momentum. Du triffst auf einen Satz und es packt dich total. Es fühlt sich irgendwie richtig an und du willst sofort Teil davon sein. Dabei ist es oft egal, ob dieser Satz die Vision ist oder der Purpose. Es ist dieses Gefühl, was einen dazu bringt alles stehen und liegen lassen zu wollen und nur noch dafür morgens aufzustehen. Wann also entsteht dieser Sog, den alle erzeugen möchten? Und kann ich diesen Sog überhaupt für viele Menschen gleichzeitig erzeugen, wo doch jeder Worte anders liest und interpretiert? Wenn ich für mich eine Beschreibung finden müsste, dann wäre es die der tieferen Wahrheit, die darin verborgen ist. Eine Wahrheit, der egal ist, mit welchen Worten sie beschrieben wird oder mit welchen Bildern sie untermalt ist. Eine Wahrheit, die weder Beratungen, noch Kommunikationsagenturen benötigt. Sie landet auf einer Ebene, die schwer beschreibbar und doch so klar ist. Und die den danach handelnden Menschen die Stabilität gibt, die es braucht, um heutzutage aktiv agieren zu können.
Das evolutionäre Anliegen - vom Denken hin zum Fühlen.
Wie aber entsteht diese Tiefe? Für die Beantwortung möchte ich gerne eine Dimension aufmachen, die für einige von euch vielleicht erst einmal abschreckend wirken kann. Was, wenn reines Denken nicht mehr ausreicht? Wenn kognitiv erarbeitete Ausrichtung nicht mehr genügt, um sich die Sicherheit zu geben, die heutzutage für klare und nachhaltig gültige Entscheidungen benötigt wird?
Ich durfte während meiner Ausbildung zur integralen Organisationsentwicklerin eine weitere Art der Ausrichtung kennenlernen. Das evolutionäre Anliegen - oder auch das evolutionäre Potenzial der Organisation. Nun mag der ein oder andere sagen - ist das nicht auch irgendwie ein Purpose? Dem würde ich erst einmal gar nicht widersprechen, jedoch nimmt diese Art von Ausrichtung in einer ganz anderen Ebene Platz. Und genau das ist das Faszinierende, denn dadurch entsteht auf einmal diese Tiefe, die mir bisher gefehlt hat. Am Ende geht es gar nicht um den einen Satz, sondern um das Gefühl, welches dahinter steckt. Das landet nicht im Kopf, das verankert sich in Herz und Bauch - und bleibt.
Grundlage für diese Herangehensweise bildet die Theory U von Otto Scharmer. “Die Theory U unterstützt uns dabei, mit wachem Blick wahrzunehmen, was sich in der Welt zeigt, hinein zu spüren und sich damit zu verbinden, wer wir sein wollen und was unsere tiefere Intention ist.” (https://www.neuenarrative.de/magazin/theorie-u-und-der-blinde-fleck-von-fuhrung, 17.02.2023). Unter Anleitung begeben sich die Beteiligten auf eine andere Bewusstseinsebene, weg vom kognitiven Denken hin zu Intuition und dem neugierigen Forschen nach dem tiefsten Anliegen der Organisation. Gelingt es diesen Raum zu betreten, entsteht eine Ausrichtung des Unternehmens auf einer Ebene, die kognitiv kaum zu beschreiben ist. Die Menschen erleben, wie sich das Potenzial der Organisation anfühlt. Und eben dieses Gefühl lässt im Inneren eine Begleitung entstehen, die bei jeder Handlung, jeder Entscheidung einen Kompass bietet.
Ein für mich sehr einfaches Beispiel, bei dem ähnliche Komponenten wirken, ist die Entscheidung für oder gegen eine neue Wohnung. Wer schon mal den Prozess der Wohnungssuche durchlaufen hat, kennt es vielleicht, dieses Gefühl, wenn eine Wohnung passt. Oft entsteht dieses Gefühl bereits an der Türschwelle, ohne die einzelnen Komponenten zu kennen. Woher kommt das? Kognitiv ist das unmöglich, denn hierfür würde es eine komplette Besichtigung der Wohnung benötigen inkl. eines Abgleichs, ob alle Wünsche und Ansprüche erfüllt sind. Was ist es also dann?
Stimmigkeit. Fühlt sich das, was ich tue stimmig an oder nicht? Und genau darum geht es. In der intuitiven Unternehmensausrichtung werde ich Teil eines sich vom Kognitiven lösenden Prozesses, durch welchen sich ein Kompass entwickelt, der mir ein Gespür dafür gibt, was richtig ist und was nicht passt. Und damit schaffe ich genau das, was all die anderen Methoden versuchen - eine Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel. Ein organisationsübergreifendes sich Bewegen in die gleiche Richtung. Eine Sicherheit trotz höchster Komplexität und Unsicherheit des Umfeldes. Ein Sog in die Richtung evolutionären Fortschritts hin zum höchsten Potenzial der Organisation. Durch Stimmigkeit. Erzeugt durch ein Bewusstsein aus einer intuitiven Unternehmensausrichtung.